„Teilhabe heißt auch durch Wählen mitentscheiden können“

Behindertenhilfe Erstellt von Bernhard Gattner

Seit 2019 schließt das Wahlrecht Menschen mit Behinderungen nicht mehr aus. Am 26. September können sie nun zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilnehmen.

Was heißt wählen zu können? wie läuft die Wahl ab? Was sagen die Parteien? Ein Wahl-Info-Tag in den Ulrichswerkstätten in Schwabmünchen gab Antworten.

Offene Behindertenarbeit, Kreis-Jugendring und Ulrichswerkstätten gestalteten Wahl-Info-Tag für Menschen mit Behinderungen

Augsburg/Schwabmünchen. 08.09.2021 (pca). Viele behinderte und psychisch kranke Menschen waren bis 2019 vom Wahlrecht ausgeschlossen. Erst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. April 2019 hatte den Bundestag dazu gebracht, das Wahlrecht entsprechend zu ändern. "Doch Menschen mit Behinderungen werden bei den Wahlen immer noch vernachlässigt", so Dieter Demel von der Offenen Behindertenarbeit des Caritasverbandes für die Stadt und den Landkreis Augsburg e. V. Zusammen mit seiner Kollegin Bettina Reker hat er deshalb gemeinsam mit den Ulrichswerkstätten der Caritas für Menschen mit Behinderungen in Schwabmünchen und dem Kreisjugendring Augsburg-Land am Mittwoch auf dem Gelände der Ulrichswerkstätten einen Wahlinfo-Tag auf die Beine gestellt.

"Teilhabe ist eben nicht nur Mobilität und Arbeitswelt, Teilhabe heißt auch durch Wählen mitentscheiden zu können", unterstrich Demel. "Menschen mit Behinderungen haben noch nicht die Stimme, die sie haben sollten", bedauerte er.  Kathrin Weh-Gleich, Einrichtungsleiterin der Ulrichswerkstätten, freut sich über diese Zusammenarbeit für die Beschäftigten. "Fast alle von ihnen haben ja jetzt die Möglichkeit, wählen zu gehen. Dieser Info-Tag ist eine Super-Idee, um so viele wie möglich ins Boot zu holen."

An vier Stationen konnten die 185 Beschäftigten in den Ulrichswerkstätten und im Berufsbildungswerk sich informieren, warum sie ein Wahlrecht haben, wie wichtig es auch für sie selbst ist, wählen zu gehen, welche Ziele die im Bundestag vertretenen Parteien insbesondere für Menschen mit Behinderungen verfolgen und wie das Wählen selbst abläuft.

Drei kurzweilige Filme, die die Ulrichswerkstätten Schwabmünchen selbst produziert hatten, wurden als Einführung an der ersten Station vorgeführt. Die Filme erklärten in Leichter Sprache und mit einer auf Piktogrammen basierten Bildsprache die Bedeutung von Demokratie. Jeder Mensch, unabhängig ob Frau oder Mann, behindert oder nicht behindert, ob Christ, Jude, Muslim oder Buddhist, auch von der sexuellen Orientierung habe das gleiche Recht wie alle anderen auch. Dazu gehöre das Recht auf freie Meinungsäußerung und darauf, Entscheidungen der Politik mitbestimmen zu können. Das geschehe in Deutschland durch die Wahl von Vertretern, die die Parteien aufstellen.

An der zweiten Station warben Demel und Reker bei jeder Gruppe dafür, ihr Wahlrecht wahrzunehmen. "Ihre Meinung ist genauso wichtig wie die anderer", unterstrich Reker an ihrer Info-Station.  "Nutzen Sie Ihr Wahlrecht, damit Sie mitentscheiden und nicht andere allein ohne Sie über Sie entscheiden." Demel wünscht sich, dass viele zur Wahl gehen. "Wenn wenige wählen, dann entscheiden nur wenige."

Weh-Gleich, Leiterin der Ulrichswerkstätten, erläuterte mit ihrem Kollegen David Schneider, 

Gruppenleiter im Berufbildungsbereich, wie das Wählen selbst abläuft. Wie sieht die Wahlbenachrichtigung aus, wie sehen die Briefwahlunterlagen aus und wie gestaltet sich der Ablauf im Wahllokal am Wahltag selbst? Wieviel Stimmen hat man? Um die einzelnen Schritte zu verdeutlichen hatten sie einen Wahltisch, einen Briefkasten und eine Wahlkabine aufgebaut.

"Ich habe aber noch keine Wahlbenachrichtigung erhalten", warf eine Beschäftigte ein. "Da müssen Sie bei Ihren Eltern nachfragen, und wenn sie sie nicht haben, dann muss man bei der Gemeinde nachfragen", empfahl ihr Weh-Gleich. Manche zeigten sich unsicher. Das sei kein Problem, weil sie, so Schneider, einen Helfer mit in die Kabine nehmen dürften. "Der darf Sie aber nicht bei der Wahlentscheidung beeinflussen. Eure Meinung zählt", ergänzte Weh-Gleich.

Sophie Kraftsik und Melanie Zacher vom Kreisjugendring Augsburg - Land freuten sich, bei dem Wahl-Infotag dabei zu sein. "Das Wahlrecht ist ein Grundrecht, und leider sind die Wahlen keineswegs so barrierefrei wie gewünscht", sagte Zacher. Sie informierte gemeinsam mit ihrer Kollegin an ihrem Stand über die unterschiedlichen Wahlprogramme der Parteien. Sie hatten die wichtigsten Kernaussagen ausgewählt, für welche Grundziele die Parteien stehen und was sie für Menschen mit Behinderungen erreichen wollen. Der Wahl-O-Mat sei ein gutes Hilfsmittel herauszufinden, welche Partei die Ziele verfolge, die einem selber wichtig sind, unterstrichen beide in Kurzvorträgen an ihren Info-Tafeln.

Georg Bader, Beschäftigter in der Hauswirtschaft, will auf jeden Fall an der Wahl teilnehmen. "Das ist interessant, was es alles gibt. Das hilft mir", sagte er über die Informationen. Stefanie Simeth, Gruppenleiterin  in der Hauswirtschaft der Ulrichswerkstätten, weiß aus den Gesprächen mit den Beschäftigten, dass jede und jeder seine eigene Meinung hat. Auch dass wohl nicht alle zur Wahl gehen werden. "Aber das", so Demel, der Initiator des Wahl-Info-Tages, "ist auch normal. Jeder hat auch dazu das Recht."

Zurück